Mittwoch, 21. Januar 2015

Marokkanischer Whisky


  1. Zwei Esslöffel Grüntee mit einer kleinen Menge kochendem Wasser aufgießen. Kurz ziehen lassen und die „Seele des Tees“ in einem Glas aufbewahren.
  2. Dann mehrmals mit kochendem Wasser aufgießen und den Tee durch Schwenken und Abschütten des Wassers reinigen.
  3. Erst jetzt wird der eigentliche Tee aufgegossen und für ca. 10 Minuten aufs Feuer gestellt
  4. Nach dem Kochen die „Seele des Tees“, den Zucker und die Minze dazugeben und alles durch mehrmaliges hin und herschütten zwischen Glas und Kanne mischen. (Im Winter lässt man die Minze weg, das Frischegefühl wird nur im Sommer gewünscht)
  5. Nach dem Mischen einen kleinen Schluck in ein frisches Glas gegeben und  Süße und Intensität kosten. Erst wenn diese zufriedenstellend sind wird den Gästen eingeschenkt. In hohem Bogen damit eine kleine, weiße Schaumkrone entsteht. (Man sagt: Entsteht bei einem Gast kein weißer Schaum, ist dies ein Zeichen für die Abneigung des Gastgebers gegenüber diesem)

Diese Anleitung hat keine Allgemeingültigkeit. Je nach Region wird der Tee unterschiedlich zubereitet. Es wird gesagt je weiter im Süden umso dunkler und stärker wird der Tee, was vor allem mit der Zubereitungszeit zusammenhängt. In den Gebieten der Westsahra kann dies bis zu einer Stunde in Anspruch nehmen.

Drei  Runden werden getrunken. Zur Herstellung werden drei Gläser werden  verwendet. Die Teeblätter werden dreimal aufgegossen.    

The first round is strong like life.
The second sweet like love.
And the third smooth like death.

Es gibt unendlich viele Mythen und Rituale um den berühmten marokkaischen Minztee.
Und inzwischen ist er sogar als Teebeutelvariation in Ihrem DM erhältlich. Seinen Ursprung fand er allerdings 1854, als englische Händler aufgrund des Krim-Krieges nicht nach Russland liefern konnten und deswegen, die heute unentbehrlichen, grünen Teeblätter nach Tanger und Mogador, an die marokkanische Küste brachten. Die Bewohner entwickelten daraus ihr Nationalgetränk. Heißer, süßer Grüntee, viel zu lange gekocht und verfeinert mit frischen Minzblättern.
Qulle: Villages in the Sun. Kapitel über Minze
Von Anfang an wurde das feine englische Porzellan abgelehnt und stattdessen kleine Gläser verwendet, um die Köstlichkeit zu genießen. Daher wahrscheinlich auch der Name „ Marokkanischer Whisky“. Die Form der Gläser erinnert eher an Alkohol, genauso wie die dunkle Farbe.

Inzwischen besitzt das Ritual des Tee Trinkens in Marokko und großen Gebieten Nordafrikas gesellschaftliche Relevanz.  Egal ob zu familiären, feierlichen oder politischen Anlässen, der Tee ist nicht wegzudenken. Dies ist auch allgemein anerkannt, Grüner Tee wird als eines der offiziellen Hilfsgüter in die Flüchtlingscamps der Westsahra geliefert.

 

Abb.: Teeprozedur
Quelle: Eigene Darstellung

Wandel durch Tourismus



Warum reisen Menschen in andere Länder? Um das Außergewöhnliche zu sehen, etwas Neues, nicht alltägliches. Ein anderes Land.
Der Tourismus beeinflusst allerdings aktiv das Erscheinungsbild einer Region. Welche offensichtlichen Auswirkungen hat der Tourismus auf Siedlungsstrukturen und das äußerliche Bild eines Landes? Dies kann beispielhaft in Südmarokko beobachtet werden.

Touristische Dorfkomplexe

Eine Erscheinung sind die Feriendörfer, die sich im Moment, und in den letzten Jahren vor allem entlang der Küste etabliert haben. Zurückgezogen von der realen Welt finden sich hier Villen, Apartments und Hotelkomplexe, meist hinter hohen Mauern, im Stil von „Gated communities“. Innerhalb sind keine traditionellen Strukturen und Gewohnheiten mehr erkennbar. Sogar die Landschaft wird ausgesperrt und verändert. Das Klientel für diese Art von Feriendörfern sind oft pauschalreisende Europäer, aber auch gut verdienende Marokkaner die sich hier, außerhalb der großen Städte ihren Zweitwohnsitz errichten. Sie suchen nicht das Ursprüngliche sondern den Luxus, die Annehmlichkeiten und die Sicherheit dieser Komplexe.
In Ägypten haben diese Ferienkomplexe bereits enorme Ausmaße angenommen. Ganze Küstenbereiche westlich von Alexandria sind nicht mehr öffentlich zugänglich, die Landschaft ist verbaut und die Attraktivität dieses Küstenbereichs vermindert. Diese Entwicklung wurde in den 80-er Jahren gezielt vom Staat, durch die Errichtung der entsprechenden Infrastruktur und den Bau der ersten drei Feriensiedlungen inszeniert.
Im Plan Azur, der von König Mohammed VI, im Hinblick auf eine positive Tourismusentwicklung erstellt wurde, sind auch fünf solcher Komplexe entlang der Küste Marokkos vorgesehen.







Abb.1: Club Evasion 
Quelle: Eigene Darstellung; Luftbild Bing


Veränderte Dorfstrukturen

Viele dieser privaten Ferien- und Alterswohnsitze finden sich auch außerhalb der geschlossenen Komplexe, innerhalb traditioneller marokkanischer Dörfer. Hier werden Gewohnheiten, das dortige Leben und die Landschaft zwar nicht ausgeschlossen, dafür wirkt sich die bauliche Ausbildung dieser auf die ursprünglichen Strukturen der Dörfer aus. Meist in europäischem Stil errichtete, hohe Gebäude oder Anbauten aus Beton, die sich nicht an Farbgebung, Baustoff oder Fassadengestaltung der übrigen Häuser halten, prägen heutzutage zahlreiche Ortsbilder marokkanischer Kleinstädte und Dörfer. Jedoch nicht nur die Gestaltung, auch die Nutzung dieser, die meist nur in den Sommermonaten und Ferienzeiten stattfindet beeinflusst den Alltag der Bewohner. Verlassene Straßen, dunkle, teilweise vernachlässigte Häuser und der unkontrollierbare Wachstum der Städte im Sommer sind Folgen dieser Entwicklung.





Abb.2: An- und Umbauten aus Beton 
Quelle: Eigene Darstellung


Regionale Strukturen

Allgemein hat der Tourismus in Marokko jedoch viele Standbeine. Nicht nur der Badetourismus dieser Feriendörfer auch der Rundreisetourismus spielt eine wichtige Rolle. Dies wirkt sich sehr positiv aus, sowohl Infrastruktur als auch kulturelles Erbe des Landes werden so besser erhalten und viele unterschiedlichen Regionen des Landes mit einbezogen.
Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Straße der Kasbahs, die sich zwischen Marrakesch und den südlichen Wüstenregionen erstreckt.

Aufgrund ihrer Lehmbauarchitektur ist die Region seit Jahrzehnten beliebtes Besichtigungsziel vieler Touristen. Zu bestaunen gibt es den unverkennbaren Baustil der dortigen Kasbahs und Ksour, der Festungen und Wehrdörfer ehemaliger Halbnomaden, die in ihrer Lehmbauweise die Besonderheit und Attraktivität der Gegend ausmachen. Als authentisch marokkanisch und beeindruckend in der Ausführung werden die Siedlungen mit ihren Burgen beschrieben. Einzigartig.

Seit Jahren jedoch findet im Land ein tiefgreifender Umbruch im Siedlungsbau statt. Lehm, als lokal verfügbarer Baustoff, der in der dortigen Vorwüstenzone ein angenehmes Wohnklima erzeugt, wird verdrängt von europäischer Betonbauweise, welche unter den Bewohnern als zeitgemäßer gilt. Denn ohne stete Pflege der Lehmbauten verfallen diese. Zu aufwändig für viele, verlassen sie ihre Häuser einfach oder ersetzen sie durch Neubauten.
So verschwinden Großteile der für die "Straße der Kasbahs" typischen Gebäude und Siedlungen im wörtlichen Sinn. Eine unaufhaltsame Entwicklung.
Da das, für touristische Zwecke vermarktete, Produkt der dortigen Burgen und Siedlungsstrukturen so aber gleichwohl verfallen würde, und damit die Einkünfte der Region durch den Tourismus, wird das Image auf eine artifizielle Weise erhalten. Bewohner und Investoren versuchen viele ihrer Neubauten und Hotelanlagen, ohne Lehm, jedoch im Stil der ehemaligen Kasbahs zu gestalten.
Wenn man heute durch das Tal fährt, nimmt man nicht mehr die Burgen mit ihren dazugehörigen Siedlungen war, vielmehr das, was davon übrig ist, eine Landschaft aus Ruinen und Neubauten.
Ein natürlicher Prozess. Mehr als die Hälfte der Lehmsiedlungen sind nicht mehr bewohnt. Trotzdem werden traditionelle Lebensweisen, die eigentlich schon gar nicht mehr vorhanden sind, präsentiert und vermarktet. Gestützt auf die Überbleibsel der Vergangenheit. Es wird eine Lebensweise vorgetäuscht, die eigentlich längst überholt ist.
In Hotels findet man Tapeten, die Lehm und Stroh imitieren, aufgeklebt auf die Wand. Tradition wird vorgeführt, in dem man über ein matschiges Feld geführt wird, in ein übriggebliebenes Lehmwohnhaus, in dem veranschaulicht wird, wie Teppiche gewoben und Tee getrunken wird.
Ein Schein. Doch angenommen von Touristen, und somit beständig.


Der Tourismus prägt auf jeden Fall das Bild eines Landes. Er verändert Landschaften, Städte und Dörfer. Ein Phänomen, in vielen Regionen, in vielen Ländern, zu beobachten. Allerdings sorgt er für die Entwicklung an sich, es kann nichts konserviert werden, alles ist in einem ständigen Wandel, der akzeptiert und auf diesen eingegangen werden sollte.

Abb.3: Neue Bausweise, neue Siedlungsstruktur
Quelle: Eigene Darstellung


Montag, 19. Januar 2015

Soukportrait




Abb. 1: Stadt und Umland als Einzugsgebiet
Quelle: Eigene Darstellung; Luftbild Bing



Der Souk stellt einen der wichtigsten Plätze in der traditionell-orientalischen Stadt dar. Er ist das Zentrum für die städtische Wirtschaft, Organisation und gleichzeitig Finanz- und Kreditplatz. Hinter all den chaotisch anmutenden Shop und umherirrenden Menschenmassen ist dies allerdings schwer erkennbar. In den Großstädten wie Marrakesch oder Fés kann eine Anhäufung solcher Soukgassen zu einem riesigen Komplex werden, in welchem sich Einzelhandel, Gewerbe und Handwerk in den meist eingeschossigen, überdachten Gassen zusammenfinden.

In vielen Städten der arabischen Welt hat sich die traditionelle Struktur des Souks jedoch stark gewandelt. Der Grund dafür ist oft die Auslagerung des Handwerks und die stetig steigenden Touristenzahlen. Oft finden sich nur noch Einzelhandel, Gastronomie, Souvenirläden und zu Hotels umgebaute Gebäude, entlang der engen Gassen.

Auch in den kleineren, ländlichen Städten etabliert sich meist ein Hauptsouk. Eine Straße, an der sich rechts und links die Geschäfte und Handwerker anordnen.
Ein Beispiel dafür ist der Souk in Mirleft. Zentral, in der Ortsmitte angelegt, erscheint er im grob gewachsenen Ort, als kleinmaßstäbliche Baustruktur. Früher haben sich hinter den zahlreichen Arkaden, die architektonisch an jene traditionellen Khane erinnern, regelmässig Händler und Handwerker aus der Region eingefunden.
Heute erinnert er vielmehr an die europäischen Einkaufsstraßen, die zum Flanieren und Verweilen einladen.
Trotz seiner baulichen Dichte und Urbanität hat der Souk in Mirleft wirtschaftlich eindeutig an Bedeutung verloren. Viele Händler und Handwerker haben sich außerhalb, nahe der großen Durchgangsstraße, angesiedelt und zahlreichen Hotels, Cafés und tourismusorientierten Brachen Platz gemacht. Das touristische Potenzial des Souks in Mirleft liegt auch in der Einheitlichkeit der Gebäude. Haus-an-Haus mit einer durchgehenden Fassade öffnet sich die Struktur lediglich für eine Ausbuchtung, in welcher der tägliche Fischmarkt stattfindet.

Auch die einheimische Bevölkerung hat den Souk als ein wichtiges Freizeitziel angenommen und zieht ihre Vorteile daraus.
Der Souk in Mirleft ist inzwischen hauptsächlich Flanierzone. Weswegen die Einwohner noch hier her kommen, sind das große Angebot an Frischwaren und die zahlreichen Cafés. Die anderen Dinge des täglichen Bedarfs finden sie auch bei sich zu Hause ums Eck.





Abb. 2: Soukarchitektur auf Augenhöhe
Quelle: Eigene Darstellung






Abb. 3: Branchensortierung
QuelleEigene Darstellung



Die meisten Shops in Marokko sind privatgeführt. Nicht nur im Souk auch in den zahlreichen Nebenstraßen finden sich in den Eg-Zonen der Wohngebiete zahlreiche Händler. Allgemein ist die Eg-Nutzung in der modernen orientalischen Stadt über die Straßenbreite geregelt. Ist die anliegende Straße mindestens 12m breit, muss die EG-Nutzung bereits baulich eingeplant werden. Der Eigner beantragt dann eine Lizenz bei der Stadt und darf seinen Shop eröffnen oder verpachten. Viele kleinere Shops, v.a. auf dem Land entstehen so in Privathäusern. Im Erdgeschoss wird oft auch ohne Zulassung, die Garage einfach zum Shop umfunktioniert. Eine rechtliche Grauzone. Aber es scheint zu funktionieren.
Während so in den neuen Stadtgebieten Wohnen und Gewerbe gemischt sind finden sich in den traditionellen Soukstrukturen keine dauerhaften Wohnnutzungen.












Abb. 4-6: Blicke ins Innere der Shops
QuelleEigene Darstellung und Aufnahmen

Samstag, 17. Januar 2015

Service d'Urbanisme et Patrimoine Communal


Auf dem Weg zur Verwaltung denken wir uns alle möglichen Begründungen aus, warum sie uns dort einlassen sollten. Wir spielen Fälle als Frage-Antwort-Kontruktionen durch, um möglichst geschickt zu sein. Angekommen vor dem beschaulichen Gebäude der Commune de Mirleft. "Die Abteilung Urbanisme befindet sich im anderen Zimmer, schräg gegenüber". Dort stehen bereits, freundlich lachend, drei Männer, von denen einer sogar vorzügliches Englisch spricht. "Wir studieren Stadtplanung in Deutschland, wir wollten Sie fragen, ob Sie uns vielleicht den Entwicklungsplan der Stadt zeigen würden und uns ein wenig von Ihrer Arbeit hier erzählen möchten?"

Der Englischsprechende freut sich, ist auch stolz, bittet uns herein und legt los. "Jaja, kommt einfach hinter meinen Schreibtisch. Das ist der aktuelle Entwicklungsplan der Stadt, an dem ich gerade arbeite. Kennt ihr AutoCAD? Ihr könnt euch gerne setzten und versuchen im Plan zu zeichnen!"Er erklärt uns, dass vor einem Monat die Auslegefrist dessen geendet hat und dass er nun alle Einsprüche, es sind 500, was er uns anhand von Mappenstapeln veranschaulicht, im Plan per Koordinaten kenntlich macht. Da die Planungshierarchie hier nicht immer ganz eingehalten wird, befinden sich nun einige Bauvorhaben auf Flächen, die eigentlich als zukünftige Verkehrswege vorgesehen sind. Das Planungsamt prüft die vorliegenden Fälle, um sie im nächsten Schritt dann gemeinsam mit dem übergeodneten Planungsämtern in Sidi Ifni und Tiznit zu besprechen. Jeder macht seine Notizen und der Plan wird wieder an die Hauptstadt gesendet.

Bereitwillig zeigt uns Abdellah auch verschiedene Baueingaben, und erklärt, was zur Bewilligung noch fehlt. Der Vorgang ist derselbe. Die drei Städte beraten gemeinsam. Innerhalb von ein- bis zwei Wochen werden die Antragsteller über den Beschluss informiert.
"Nun gut, es ist Zeit", mit einer Hand schon am Lichtschalter, "ihr könnt gerne morgen wieder zu selben Zeit kommen". Und sein Kollege: "Habt ihr Facebook?"




Am nächsten Tag, zur selben Zeit: Interview mit Stadtplaner Abdellah (im Foto links), im Verwaltungsgebäude in Mirleft:





Zu Gast: Abcdef








Einer der ersten Eindrücke von Marokko waren die unzähligen Wände, die die Grundstücke entlang der Straße von Agadir in Richtung Süden begrenzen. Diese, beige-rötlich, sind in der Regel 2-3 Meter hoch und weisen kaum Öffnungen auf. In ihrer Häufigkeit prägen sie den Straßenraum und sind besonders aus der Sicht eines Graffitisprühers sehr interessant. Statt einige dieser Wände zu bemalen, entstand ein kurzer Fotoband des Künstlers Abcdef.




Abb. 1-3: Mauern
Quelle: Abcdef

Villes sans Bidonvilles - Städte ohne Slums















Die Bezeichnung Bidonville hat ihren Ursprung in den 20er Jahren in den Kolonien in West-Afrika. Der Begriff kommt aus dem französischen und bedeutet wörtlich übersetzt Blechbarackenviertel. Die heutige Bezeichnung ist informelle Siedlung oder Slum. 
Meist sind es verwahrloste, überbevölkerte Selbstbau-Viertel, die provisorisch und illegal auf fremdem Land errichtet werden. Dies kann in der Stadt oder auch am Stadtrand geschehen. Innerhalb der informellen Siedlungen gibt es (zumindest anfangs) keine öffentlichen oder staatlichen Einrichtungen, geteerte Straßen, Wasser- oder Stromversorgung. Meist werden die Slums von Armen und ländlichen Zuwanderern bewohnt. Landflucht, Verstädterung und die enorme Bevölkerungsexplosion sind Gründe für das Entstehen von Bidonvilles.


Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, die lange Zeit ignoriert und toleriert wurde, hat Marokko nach den Unruhen 1981, deren Ursprung unter anderem in den prekären Lebensverhältnissen eines Großteils der Bevölkerung lag, ein staatliches Umsiedlungsprogramm ins Leben gerufenen, dessen Ziel es war die Städte von ihren Bidonvilles zu befreien. Die Anfänge fand dieses Projekt unter der Herrschaft Hassan II. Dieser beauftragte den französischen Architekten Pinseau, einen Masterplan für Casablanca zu entwickeln, um die urbane Entwicklung besser kontrollieren zu können. Casablanca diente als Modellstadt. Es wurden mehrere administrative Neuerungen eingeführt und die erste Umsiedlung der Bewohner des vergleichbar großen Bidonvilles Ben M´Sik eingeleitet. Die erfolgreichen Neuerungen wurden schließlich auch auf andere Städte wie Fez, Rabat-Salé oder Marrakesch übertragen.

Einen weiteren Wendepunkt in der Stadtplanungspolitik Marokkos stellten die Bombenanschläge 2003 in Casablanca dar, deren Attentäter aus den nahegelegenen Barackenvierteln stammten. König Mohammed VI ordnete daraufhin die Beseitigung aller Bidonvilles bis 2012 an. Zu diesem Zeitpunkt lebten ca. 1.5 Millionen Menschen in solchen.

Diese beiden Beispiele machen deutlich, dass Momente der Gewalt  zu Wendepunkten in der Stadtplanungspolitik Marokkos führen. 
Komplette Stadtteile werden entworfen, die schließlich die riesigen informellen Siedlungen ersetzen sollen. Den Bewohnern soll so anstelle ihrer Baracke eine Sozialwohnung zu Verfügung gestellt werden. Bezahlbar werden diese Wohnungen durch Subventionierung und Kredite.
Obwohl durch das „Villes sans Bidonvilles“-Programm und vorhergegangene Bemühungen beutende Fortschritte in der Beseitigung von Slums gemacht wurden und bis Ende 2013, 47 von ursprünglich 85 festgelegten Städten als Städte ohne Barackensiedlungen erklärt werden konnten, gibt es allein in Casablanca noch über 500 Stück.

Eine wichtige Frage ist was für allgemeine Auswirkungen das „Ville sans Bidonville“-Programm hat und ob dessen Umsetzung im Hinblick auf die ständig wachsende Stadtbevölkerung realisierbar ist.
Ein großes Problem stellt hier vor allem das fehlende Bauland dar. Die Stadtfläche Casablancas ist bereits so dicht besiedelt, dass nur in den Randgebieten der Stadt die entsprechenden Flächen für die Wohnbauprojekte gefunden werden. Daraus resultieren jedoch Probleme wie fehlende Integration und Anbindung an den Rest der Stadt.
Außerdem sind viele der neuen Baustrukturen wenig an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst. Betonblöcke werden entworfen ohne Bezug zum Außenraum und ohne individuelle Anpassungsmöglichkeiten.
Das Problem des Slums darf allerdings nicht allein als Wohnraumproblem dargestellt werden, dass berechnet und gelöst werden kann. Slums sind nicht integriert ins Stadtgefüge. Nach den Anschlägen in Casablanca wurde herausgefunden das mache der Jugendlichen noch nie im Zentrum waren. Auch durch die neuen Sozialbausiedlungen mit fließend Wasser und Strom wird sich dieser Umstand nicht ändern. Muss vielleicht mehr gemacht werden als das? Sozialarbeit und eine Aufklärung der Bevölkerung ist nötig. Es sollte im Vorfeld eine Bürgerbeteiligung stattfinden, denn die Bewohner müssen integriert und begleitet werden. Es ist auch wichtig Baustrukturen zu erstellen die sowohl baulich als auch sozial an die jeweiligen Bedürfnisse angepasst sind.
Auf der Anderen Seite oder besser zur gleichen Zeit sollte die Landflucht an sich behandelt werden.  Es ist wichtig ein besseres Gleichgewicht zwischen Land und Stadt herzustellen. Auch die ländlichen Regionen müssen attraktiv werden und Pull-Faktoren entwickeln. Menschen sollen sich bewusst dafür entscheiden auf dem Land zu leben und in ihrem Heimatort zu bleiben. Das Land muss eine Perspektive auf eine hoffnungsvolle Zukunft eröffnen sonst werden die Städte explodieren.
Es muss ein Prozess eingeleitet werden, ansonsten kann das „Villes sans Bidonvilles“-Projekt nur zu einer temporären Verlagerung von Problemen und nicht zu einer dauerhaften Lösung werden.























Abb. 1-3: Blick vom Leuchtturm 
Quelle: Eigene Aufnahmen


Exkurs: Die Siedlung Quinta Monroy in Chile

Die oben beschriebenen Vorgänge des Villes-sans-Bidonvilles-Programms sind vergleichbar mit denen der Kolonialarchitektur. Wieder werden den Bewohnern neue Lebensräume zur Verfügung gestellt, ohne auf ihre Bedürfnisse und Lebensformen einzugehen. Das In-Besitz-Nehmen von Land und Bebauung ist ein Merkmal der traditionell-orientalischen Stadt, der informellen Siedlungen, wird jedoch nicht berücksichtigt.

Wie mit der Slumbevölkerung, und im Sinne derer, gebaut werden kann, beschäftigt sich der chilenische Architekt Alejandro Aravena.
Wissend um den eintretenden Aneignungsprozess, initiiert er diesen bewusst. Mit seinen Bauten für die Siedlung Quinta Monroy zeigt er einen Weg auf, mit beschränkten finanziellen Mitteln ausbaufähige, wertstabile Eigenheime zu generieren.

ELEMENTAL nennt er dieses Wohnprojekt, in welchem die Regierung den Bewohnern von Slums, nur „halbfertige“ Wohnungen zu Verfügung stellt. Geplant und ausgeführt werden die kostenintensiven Teile wie Rohbau, Wasser- und Stromversorgung, außerdem Baugrund und Infrastruktur. Erweiterbar sind die zur Verfügung stehenden Eigentumswohnungen dann in Eigenarbeit von den bestehenden zweimal 30qm auf über das Doppelte an Fläche. Ausnahmslos wird diese Chance in kürzester Zeit wahrgenommen.
Baugrund wird dort erworben, wo die Bewohner auch schon davor gelebt haben, um das soziale Umfeld zu stützen. Auch wurden die Anwohner über verschiedene Workshops und Beteiligungsformen in den Planungsprozess miteinbezogen. Die neuen Gebäude selber formen sich zu einer Einheit und bilden innerhalb mehrere Höfe aus.
Für den Erwerb müssen die Familien zu Beginn 300 US-Dollar bezahlen, und natürlich die Kosten für den Ausbau, die bereits getätigten Ausgaben, bis zum Bezug, belaufen sich auf ca. 7200 US-Dollar und werden vom Staat übernommen.
Die erste Siedlung hat inzwischen das Dreifache an Marktwert gewonnen, wie zu Baubeginn. Dies hat einen gemütsstabilisierenden Effekt auf die Bewohner. Sie wissen sich im Besitz einer wertvollen Wohnung. Der soziale Zusammenhalt wird so gestärkt und Verantwortung für die Umgebung kommt auf.
Mittlerweile wurden von den Architekten mehrere vergleichbare Projekte ins Leben gerufen.






























Abb. 4-5: Rohbau und Eigenleistung 
Quelle: Alejandro Aravena

Dienstag, 30. Dezember 2014

Les Anciens Abattoirs


Das Selbe oder Ähnliches passiert in den ehemaligen Schlachthöfen, die 1922 von den Franzosen am Rand der Stadt gebaut wurden. Riesige Gebäudekomplexe, die nun leer stehen, nach dem Regierungsbeschluss 2000, den Schlachthof in ein neues Gebäude zu verlagern. Zurückgeblieben sind etliche Menschen ohne Arbeit, ein Raum ohne Nutzung und ein fast völlig leerstehendes Quartier. Der König hat beschlossen in den Schlachthöfen einen Raum für Kultur zu etablieren, viele Projekte wurden gefördert. Es ist ein Verein entstanden der den Gebäudekomplex verwaltet. Inzwischen gibt es sogar einen Pförtner. Nur die Förderungen wurden eingestellt. Die Kultur hat sich nicht in die „richtige“ Richtung entwickelt. Als 2007 dann eine Explosion einen großen Teil eines Gebäudes zerstörte wurden Abrisspläne laut. Bisher ist nichts passiert. Die Schlachthöfe gibt es noch. Sie wirken auf den ersten Blick zwar etwas verlassen, die Menschen die wir dort antreffen versichern uns jedoch, dass hier regelmäßig Veranstaltungen stattfinden. Auch ein Gnadenhof hat sich hier etabliert, einige Menschen wohnen in den ehemaligen Verwaltungsgebäuden. Und ein Kinderzirkus hat hier sein Lager errichtet. Er hat mit dem Verein sogar einen Vertrag über die legale Nutzung des Geländes geschlossen. Im Hauptgebäude findet sich eine Ausstellung über Architektur und Städtebau der Kolonialzeit. Sie hat ihre beste Zeit jedoch hinter sich und es scheint sich niemand dafür verantwortlich zu fühlen.

Aber auf irgendeine Art und Weise haben sich die Menschen der Umgebung das Gelände zurückgeholt. Nur nicht so aktiv oder offensichtlich, Veränderungen geschehen hier langsam.
Der Bedarf nach Wohnraum ist da, riesige Bidonvilles entstehen an den Rändern Casablancas, wieso nutzen die Menschen nicht den Raum der hier verlassen liegt. Wieso nimmt der König nicht die Chance wahr und baut bereits Bestehendes um, zu sozialem Wohnraum? Die Stadt platzt aus allen Nähten und wuchert ins Umland. Es wäre ein wunderbarer Ansatz, hier nachhaltigen Städtebau zu betreiben.
Es gibt viele Orte wie diese beiden, die wir entdeckt haben. Es ist eine Entwicklung im Gange von der man so viel abschauen kann. Manchmal verborgen hinter Mauern, manchmal ganz offensichtlich in voller Größe, mitten in der Stadt.








Abb.: Projekte und Nutzungen auf dem Gelände
Quelle: Eigene Aufnahmen



Interview mit Hassan, Akteur in der Kulturfabrik, Leiter des "Theatre Nomade":